lieblingsgedichte

Bertolt Brecht

Gegen Verführung

Lasst Euch nicht verführen! 
Es gibt keine Wiederkehr. 
Der Tag steht in den Türen, 
ihr könnt schon Nachtwind spüren: 
Es kommt kein Morgen mehr.

Lasst Euch nicht betrügen! 
Das Leben wenig ist. 
Schlürft es in vollen Zügen! 
Es wird Euch nicht genügen, 
wenn Ihr es lassen müßt!

Laßt Euch nicht vertrösten! 
Ihr habt nicht zu viel Zeit! 
Lasst Moder den Erlösten! 
Das Leben ist am größten: 
Es steht nicht mehr bereit.

Lasst Euch nicht verführen 
Zu Fron und Ausgezehr! 
Was kann Euch Angst noch rühren? 
Ihr sterbt mit allen Tieren 
und es kommt nichts nachher.



Else Lasker-Schüler

Mein blaues Klavier

Ich habe zu Hause ein blaues Klavier
Und kenne doch keine Note.

Es steht im Dunkel der Kellertür,
Seitdem die Welt verrohte.

Es spielten Sternenhände vier –
Die Mondfrau sang im Boote.
– Nun tanzen die Ratten im Geklirr.

Zerbrochen ist die Klaviatur.
Ich beweine die blaue Tote.

Ach liebe Engel öffnet mir
– Ich aß vom bitteren Brote –
Mir lebend schon die Himmelstür,
Auch wider dem Verbote.

Crista Reinig

HÖRT WEG!

kein wort soll mehr von aufbau sein
kein wort mehr von arbeit und altersrente
hört weg – ihr helden – ich rede allein
für asoziale elemente

für arbeiter die nicht mehr arbeiten wollen
für die stromer und wüsten matrosen
für die sträflinge und heimatlosen
für die zigeuner und träumer und liebestollen

für huren in häusern mit schwülen ampeln
für selbstmörder aus zerstörungslust
und für die betrunknen die unbewußt
ein stück von einem stern zertrampeln

ich rede wie die irren reden
für mich allein und für die andern blinden
für alle die in diesem leben
nicht mehr nach hause finden



Gottfried Benn

Gesänge

I         

O daß wir unsere Ururahnen wären.
Ein Klümpchen Schleim in einem warmen Moor.
Leben und Tod, Befruchten und Gebären
glitte aus unseren stummen Säften vor.

Ein Algenblatt oder ein Dünenhügel,
vom Wind Geformtes und nach unten schwer.
Schon ein Libellenkopf, ein Möwenflügel
wäre zu weit und litte schon zu sehr.

II         

Verächtlich sind die Liebenden, die Spötter,
alles Verzweifeln, Sehnsucht, und wer hofft.
Wir sind so schmerzliche durchseuchte Götter
und dennoch denken wir des Gottes oft.

Die weiche Bucht. Die dunklen Wälderträume.
Die Sterne, schneeballblütengroß und schwer.
Die Panther springen lautlos durch die Bäume.
Alles ist Ufer. Ewig ruft das Meer –

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